Wir hatten gerade vor dem Hotel gefrühstückt, als zwei vermummte Männer in schwarzer kurdischer Tracht mit einem Geländemotorrad vorfuhren. Der Sozius hatte eine Kalaschnikow geschultert. Sie fragten nach dem Mann, der Sheik Akar Achmad sprechen wollte und ich meldete mich, beschloss aber, dass wir alle drei zum Kurdenführer fahren würden, vor allem, weil ich meine Mitreisenden nicht aus den Augen lassen wollte.
»Habt ihr ein Auto?«, fragten die Kurden.
Ich zeigte auf den Datsun. Der Pick-up hatte vorne eine Sitzbank für drei Personen und eine Ladefläche. Ohne dass ich mir hätte Gedanken machen müssen, wer wo sitzen könnte, entschieden die Kurden, einer von ihnen würde fahren und der Sozius mit der Kalaschnikow ginge mit uns auf die Ladefläche. Allerdings gäbe es noch eine Kleinigkeit, auf die sie nicht verzichten könnten: Wir müssten alle schwarze Augenbinden tragen, damit wir uns den Weg zu ihrem Stammesfürsten nicht merken konnten.
Ali und Hassan gerieten in Panik. Sowohl der Schah als auch Ayatollah Chomeini hatten ihre Widersacher mit schwarzen Augenbinden in den Tod geführt. Ich bat um einen Moment Ruhe und überlegte. Eine Falle war nicht auszuschließen, aber eher unwahrscheinlich. Mehr Sorgen als die Augenbinde machte mir die Vorstellung, Ali und Hassan allein zurückzulassen, weil ich befürchtete, dass bei meiner Rückkehr Ali auf dem Heimweg war und Hassan ungetarnt über den Markt spazierte. Da fiel mir plötzlich der »Nackte-Mann-Trick« ein, der ganz am Anfang meiner Karriere gestanden hatte. Ich ließ mir von Ali den Autoschlüssel geben, bat die Kurden, kurz zu warten und ging mit Ali und Hassan auf unser Zimmer.
»Wenn ihr euch weigert, die Augenbinde anzulegen, was ich gut verstehen kann, dann fahre ich allein zum Sheik. Ich bin in ein paar Stunden wieder zurück. Aber ich will auf keinen Fall, dass einer von euch das Zimmer verlässt. Habt ihr das verstanden?« Die beiden nickten erleichtert.
»Wenn ihr das Zimmer ganz sicher nicht verlasst, dann braucht ihr auch keine Kleidung. Zieht euch bitte bis auf die Unterhose aus und stopft alles in euren Kopfkissenbezug!«, forderte ich die beiden auf.
»Wieso denn das? Wir bleiben auch so im Zimmer!«, meinte Hassan empört und Ali pflichtete ihm bei.
»Weil ich kein Risiko eingehe! Und weil es um unser Leben geht! Es ist jetzt auch keine Zeit, zu diskutieren. Entweder ihr macht jetzt sofort und ganz schnell das, was ich gesagt habe, oder ich fahre mit dem Pick-up weg und ihr seht mich nie wieder!«, drohte ich in scharfem Ton.
Als die beiden in ihren Unterhosen vor mir standen und mir die gefüllten Kopfkissenbezüge reichten, ließ ich sie unter die Betttücher kriechen und mir auch noch die Unterhosen reichen, verknotete die Kissenbezüge und nahm sie mit. Nach dem Verschließen der Zimmertür schob ich wenige Zentimeter von der rechten oberen Ecke ein Streichholz zwischen Tür und Türrahmen. So konnte ich bei meiner Rückkehr erkennen, ob die Tür während meiner Abwesenheit geöffnet worden war.
Die Kleidersäcke landeten auf der Ladefläche und die Sitzordnung war klar: Ein Kurde steuerte den Pick-up, ich saß mit verbundenen Augen in der Mitte und der Kurde mit der Kalaschnikow auf der anderen Seite neben mir.
Sheik Akar Achmad glich ein wenig einem Märchenprinzen aus Tausendundeiner Nacht. Er trug einen weißen Turban, eine weiße Pumphose, eine purpurrote Bauchbinde und eine purpurrote Weste, die mit Goldbrokat eingefasst war. Sein Empfangsraum hätte mit manchem Museum für orientalische Kunst konkurrieren können: schwere Perserteppiche auf dem Boden und an den Wänden, filigran geschnitztes Mobiliar, Samowar, Teetischchen, Teegläser, Silberlöffel, eine große Schale mit Datteln, Reiterfigürchen aus Porzellan.
Der Mann, den ich auf Mitte vierzig schätzte, fragte mich in perfektem Englisch:
»Wer sind Sie und was kann ich für Sie tun?«, während mir einer seiner Diener ein Glas Tee einschenkte.
»Mein Name ist Thomas Freeman. Sind Sie Sheik Akar Achmad?«, vergewisserte ich mich.
Der Sheik nickte.
»Dann möchte ich offen mit Ihnen reden. Ich soll einen Bekannten über die Grenze in die Türkei begleiten und bitte um Ihre Hilfe. Selbstverständlich werde ich mich erkenntlich zeigen, wenn Sie mir helfen können und wollen.«
»Heißt der Mann, um den es hier geht, Ali Reza Khan?«, fragte der Sheik.
Ich erschrak, versuchte meine Überraschung zu verbergen und antwortete:
»Bitte verstehen Sie, dass ich keinen Namen nennen möchte.«
»Das haben Sie bereits getan! Ich habe es in Ihren Augen gelesen«, erwiderte der Sheik und fuhr fort:
»Letzte Woche hat ein Mitarbeiter der amerikanischen Botschaft, vermutlich ein CIA-Agent, in Teheran einen Taxifahrer angeworben, der den ehemaligen Chef der National Iranian Oil Company zusammen mit einem Begleiter in die Türkei fahren sollte. Der Taxifahrer ist ein Verräter und wollte sowohl bei der CIA als auch bei Chomeinis Leuten abkassieren. Die erwarten euch bereits am Checkpoint!«
»Woher wissen Sie das?«, fragte ich möglichst emotionslos.
»Zwei meiner Männer arbeiten getarnt als Revolutionsgardisten, einer von ihnen am Checkpoint.«
»Was schlagen Sie vor?«, fragte ich.
»Als Erstes müssen Sie den Taxifahrer loswerden. Entweder exekutieren oder auf jeden Fall für die nächsten 36 Stunden sicher ausschalten!«, erwiderte der Sheik.
»Ich habe den Taxifahrer, von dem Sie gesprochen haben, nicht engagiert, ihm gesagt, dass ich noch Zeit bräuchte, um das geforderte Geld zu besorgen, und dass ich mich wieder bei ihm melden würde. Wir sind mit einem anderen Fahrer gekommen, der mein Vertrauen genießt.«
»Das klingt sehr gut. Dennoch sollten Sie niemandem vertrauen außer sich selbst«, belehrte mich der Sheik. Es waren genau die Worte, die man mir schon bei der Ausbildung im Camp der CIA immer wieder eingebläut hatte.
»Wo sind Ali Reza Khan und Ihr Fahrer jetzt?«, fragte der Sheik.
»Geschätzter Sheik, Sie haben mir gerade einen guten Rat gegeben, den ich gerne beherzige. Bitte sagen Sie mir erst, wie Sie mir helfen können. Dann sage ich Ihnen, wo sich die beiden befinden.«
Sheik Akar Achmad lächelte anerkennend und erläuterte:
»Es gibt zwei Möglichkeiten, den Checkpoint sicher zu umgehen. Einmal mit Pferden. Das dauert etwa zehn Stunden und ihr solltet mit Pferden umgehen können. Mein Mann, der euch begleitet, übernachtet dann in der Türkei und kommt am nächsten Tag mit den Pferden zurück. Die zweite Möglichkeit ist die Fahrt mit drei geländetauglichen Motorrädern. Meine Männer fahren, ihr sitzt bei zwei Motorrädern auf dem Sozius. Auf dem dritten Motorrad befinden sich Trinkwasser, Benzin für die Rückfahrt, Reservemunition, Reparatur- und Erste-Hilfe-Set. Die Tour dauert für euch fünf bis sechs Stunden und meine Männer kommen am gleichen Tag zurück.«
»Die Motorradvariante gefällt mir besser. Wie schnell können Sie das organisieren und was kostet mich das?«, fragte ich.
»Meine Männer können morgen früh bei Sonnenaufgang starten. Was können Sie zahlen? Was ist Ihnen das Leben dieses Mannes wert?«, fragte der Sheik.
»10 000 US$ in bar«, antwortete ich.
»10 000 Dollar? Das ist wenig für ein Menschenleben. Und es ist wenig, wenn man das Budget der CIA kennt. Aber wenn wir Kurden helfen, dann machen wir das nicht nur wegen des Geldes, sondern auch aus ideologischen Gründen. Viel lieber als Geld wäre mir allerdings ein Geschenk, das Sie mir machen könnten«, meinte der Sheik.
»Sagen Sie mir Ihren Wunsch und ich werde versuchen, ihn zu erfüllen, soweit es in meiner Macht steht«, bot ich an.
»Wir hatten genauso einen sandfarbenen Datsun-Pick-up wie der, mit dem Sie gekommen sind. Bis ihn uns die Revolutionsgardisten gestohlen haben. Wir vermissen diesen Wagen sehr«, sagte der Sheik.
»Der Wagen gehört meinem Fahrer. Vielleicht kann ich ihn überreden, ihn zu verkaufen. Ali Reza Khan und mein Fahrer liegen jetzt übrigens nackt, nur mit einem Leintuch bedeckt, in unserem Hotelzimmer. So können sie nicht weglaufen. Ihre Kleidung befindet sich in den Kopfkissenbezügen auf der Ladefläche des Pick-ups.«
Die Geschichte gefiel dem Sheik. Er musste laut lachen, so laut, wie man einen Sheik wahrscheinlich nur selten lachen hört. Ein guter Moment für mein Resümee:
»Morgen früh um 5:00 Uhr kommen Ihre Männer mit drei Motorrädern zum Hotel. Ihre Leute sollen den Kauf des Datsun mit einem Schreiben vorbereiten. Verkauft mein Fahrer, zahle ich ihn aus, einer Ihrer Männer macht den Kaufvertrag und bekommt die Schlüssel. Verkauft mein Fahrer nicht, so müssen wir das respektieren und ich gebe einem Ihrer Männer 10 000 US$ in bar. Dann fahren wir los. Wo in der Türkei werden uns Ihre Männer absetzen?«
»In Gever. Die Türken nennen den Ort Yüksekova. Von dort kommen Sie gut weiter.«
Der Sheik besiegelte unsere Vereinbarung mit einem kräftigen Händedruck, wies seine Leute an, mich zurückzufahren und rief ihnen nach:
»Am Ortseingang könnt ihr ihm die Augenbinde abnehmen!«
Als wir Urmia erreichten, bat ich die beiden Kurden, in einem Restaurant ihres Vertrauens drei gebratene Hühnchen, eine große Portion Safranreis, drei große Flaschen Trinkwasser und eine große Cola zu besorgen.
Vor unserem Hotel stiegen die beiden Kurden auf ihre Motorräder um, ich nahm den Proviant, hob die beiden prall gefüllten Kopfkissenbezüge von der Ladefläche und marschierte aufs Zimmer.
Das Streichholz klemmte noch an der rechten oberen Türecke. Ein gutes Zeichen. Meine beiden Freunde lagen brav, nur mit einem Leintuch bedeckt, da und schnarchten – einer lauter als der andere. Der einzige Grund, die beiden zu wecken, wären die frisch gebratenen Hähnchen gewesen, aber auch die konnten warten. Ich beschloss, mich ebenfalls ins Bett zu legen, starrte an die Decke und überlegte, was jetzt noch schiefgehen könnte, was ich übersehen oder nicht ausreichend bedacht hatte. Mir fiel nichts ein. Außer einem kleinen Streich. Ich hatte nämlich keine Ahnung, wie es um den Humor der Iraner stand und es war an der Zeit, das herauszufinden.
Ich schloss die beiden Kopfkissenbezug-Kleidersäcke in den einzigen Schrank im Zimmer ein und rief:
»Aufwachen, Leute, es gibt Essen!«
Ali und Hassan schliefen so tief, dass ich meine Ansage deutlich lauter wiederholen und die beiden an den Schultern rütteln musste.
»Wo sind meine Kleider?«, fragte Hassan schlaftrunken und auch Ali schaute mich fragend an.
»Leute«, sagte ich mit ernstem Gesicht, »eure Kleider waren dermaßen verdreckt und haben nach Schweiß gestunken. Die hab’ ich erst mal in die Wäscherei gebracht. Sie werden morgen fertig.«
Zornesröte stieg in Hassans Gesicht auf:
»Waaas hast du? Ich will sofort meine Kleider!«
Ali ergänzte leicht deprimiert:
»Das war keine gute Idee, Thomas. Wie soll ich denn nun zur Rezeption gehen und meine Frau anrufen?«
»Habt ihr denn überhaupt keinen Hunger?«, fragte ich.
»Ohne Kleider esse ich nichts!«, protestierte Hassan und Ali schüttelte ebenfalls den Kopf.
Ich ließ mir ein bisschen Zeit, bis ich verkündete:
»Ich habe zwei gute und eine schlechte Nachricht für euch. Was wollt ihr zuerst hören?«
»Die schlechte!«, bat Ali.
»Die schlechte Nachricht ist, dass keiner von uns bis morgen früh dieses Zimmer verlassen wird. Höchstens zum Pinkeln oder für ein kurzes Telefonat. Es ist zu gefährlich und es steht zu viel auf dem Spiel!«
Ich legte wieder eine bedeutungsvolle Pause ein und wartete, bis Hassan fragte:
»Und wo sind jetzt die guten Nachrichten?«
Ich öffnete den Schrank, gab jedem sein Kopfkissen und sagte:
»Die eine ist, dass ihr eure Kleider wieder anziehen dürft, allerdings ungewaschen und genauso verschwitzt, wie ihr sie mir übergeben habt.«
Ali schenkte mir sofort sein verschmitztes Grinsen, das mir vom Moment unserer ersten Begegnung so gut an ihm gefallen hatte und auch Hassan quälte sich ein Lächeln ab. Die beiden waren so glücklich, dass sie meine zweite gute Nachricht, die erfolgreichen Verhandlungen mit dem Sheik, gar nicht mehr einforderten.