Uncle Sam wants you

Ein naiver Deutscher, angelockt vom amerikanischen Traum, kommt in New York City an und wird trotz der Führung eines scheinbar hilfsbereiten Fremden schnell um seine Ersparnisse gebracht.

15 Monate zuvor

Es war ein aufregendes und im wahrsten Sinne des Wortes erhebendes Gefühl, als ich ein paar Wochen vor meinem 19. Geburtstag aus dem Fenster des nagelneuen Jumbo-Jets, einer Boeing 747 der Pan American Airlines, blickte und erstmals die Welt aus der Vogelperspektive sah: Wälder, Wiesen, Kirchtürme, Friedhöfe, Häuser, Straßen und bunte Fahrzeuge, kleiner als Spielzeugautos. Nachdem wir die Welt unter uns gelassen hatten, Raucher- und Anschnallzeichen erloschen waren, bestellte ich mir ein Glas Bourbon Whiskey. Niemand kam auf die Idee, von einem langhaarigen Hippie mit Vollbart einen Altersnachweis zu verlangen. Auch die Passkontrolle vor dem Einstieg war mehr als lax gewesen. Wahrscheinlich hätte ich auch mit meinem Schülerausweis reisen können.

Ich steckte mir eine Zigarette an, ließ die letzten Monate Revue passieren und träumte von meiner goldenen Zukunft. Nach dem Rauswurf bei meiner Mutter kannte ich nur ein Ziel: Amerika! Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten! Das Land von Elvis und den Beach Boys! Zuvor musste jedoch das Ticket verdient werden. Der Vater eines Schulfreunds besaß die Wäscherei Würth in der Wagenbauerstraße und stellte mich bei wöchentlicher Auszahlung als »Mädchen für alles« ein. Ich sortierte Kleiderbügel und Wäsche jeglicher Art, räumte die Waschmaschinen ein und aus, dampfte Blusen auf und bügelte Hemden, so lange, bis ich die 630 DM für den Flug und 200 DM Taschengeld beisammenhatte.

Das Gefühl, in diesem Riesenvogel hoch über den Wolken von Kontinent zu Kontinent zu schweben, war atemberaubend. Im Landeanflug konnte man aus dem Fenster die Freiheitsstatue sehen, das Symbol für das gelobte Land.

»New York, New York – if you can make it there, you can make it anywhere!«

Hier konnte es jeder vom Tellerwäscher zum Millionär bringen. Wenn das nicht wenigstens einen Versuch wert war!

Knapp zwei Stunden nach der Landung überwältigte mich der Big Apple. Ich irrte vom Times Square zum Empire State Building, hoch zum Rockefeller Center, zurück zum Times Square, den Broadway hoch, die 54th Street gen Osten und dann die 7th Avenue nach Norden bis zum Central Park. In einer der zahlreichen Wechselstuben am Broadway ließ ich mir, nach intensivem Vergleich, für meine sauer verdienten 200 DM satte 57 US$ und 25 Cent auszahlen.

Die Menschen hier waren anders als die Deutschen. Freundlicher, gesprächiger und vor allem: kontaktfreudiger! Viele, die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte, fragten mich auf offener Straße, beim Anstehen an der Wechselstube oder mitten auf dem Times Square einfach mal so, wie mein Tag heute war, wie es mir ginge, wo ich herkäme und wo ich hinwolle.

Die Sonne neigte sich dem Horizont zu, als ich auf einer Parkbank im Central Park langsam müde wurde und sich Hendrix zu mir gesellte. Hendrix, der aussah wie Bob Marley, bot mir einen Joint an und gab mir ein paar Tipps für den Großstadtdschungel, den ich – davon war er felsenfest überzeugt – ohne ihn nicht lange überleben würde. Er meinte, er sei nun mein Bruder, ich könne ihm alles erzählen und er würde mich die nächsten Tage unter seinen persönlichen Schutz stellen. Es klang, als würde der Pate von Upper Manhattan seine schützende Hand über mich halten. Ein zutiefst beruhigendes Gefühl!

Hendrix riet mir, mein Bargeld zu verteilen, 20 US$ in jeden meiner Schuhe, das sei das sicherste aller Verstecke, und den Rest in die rechte und linke Jeanstasche. Dann zeigte er mir den sichersten aller Schlafplätze im Central Park, mit »eingebauter Alarmanlage«. Die bestünde darin, dass Vögel auf dem Busch nisteten und ein Riesengeschrei veranstalten würden, wenn sich nachts jemand näherte. Mann, war ich froh, dass ich Hendrix kennengelernt hatte, einen Vollprofi, der mit allen Wassern gewaschen war und sich richtig gut auskannte!

Am nächsten Morgen waren meine Schuhe verschwunden. Samt Geld natürlich. Dafür prangten zwei große Kleckse Vogelscheiße auf meiner Jeansjacke. Glücklicherweise gab es genug Wasserstellen im Park, um die Jacke zu reinigen und sich ein wenig frisch zu machen.

Ich beschloss, mich in der Gastronomie zu bewerben, genauer gesagt als Tellerwäscher – der Vorstufe zum Millionär – und als Küchenhilfe. Zwei lange Tage bot ich meine Arbeitskraft in wirklich jedem Restaurant zwischen East Harlem und East Village für lumpige zwei US$ pro Stunde an. Leider ohne Erfolg. Ob es an meiner etwas heruntergekommenen Erscheinung lag? Oder daran, dass die überwältigende schwarze Konkurrenz vielleicht für noch weniger Geld arbeitete?

Am Times Square lernte ich Jimmy kennen, einen großen, athletischen Typ aus Texas, der mich spontan auf ein Bier einlud und mir in seinem eigenwilligen, aber sympathisch klingenden Südstaatenslang erzählte, wie toll es in seinem Dorf zuging: Rinder, Cowboys, Wildwest-Romantik pur. Da müsse ich unbedingt hin! Nach dem Bier meinte er, ich solle kurz warten, er müsse nur schnell Geld besorgen. Dann ging er etwa 15 Meter weiter zur Ecke W 46th Street und sprach mit einer Nutte, die ihm etwas zusteckte. Es gab eine kurze Auseinandersetzung. Plötzlich riss er die Frau zu Boden, packte ihren Kopf mit beiden Händen und schlug ihn so lange auf die Bordsteinkarte, bis sie sich nicht mehr rührte. Ich schloss aus der Situation, dass er ihr Zuhälter war und sie zu wenig verdient hatte. Ein Polizist, der noch näher dran war als ich, hatte die Szene beobachtet, die Straßenseite gewechselt und war seelenruhig davonspaziert, als wäre nichts geschehen. Mir wurde schlecht. Aber was sollte ich tun? Gegen Jimmy antreten, der mir körperlich weit überlegen war? Ohne Ahnung Erste Hilfe bei einer Schwerstverletzten, möglicherweise sogar frisch Ermordeten leisten?

Plötzlich wollte ich raus aus dieser kranken Stadt, nur noch weg hier! Die Port Authority Busstation war knappe zehn Gehminuten entfernt. Wie weit würde ich mit meinen verbliebenen 6,45 US$ kommen? Nach San Francisco, Los Angeles oder Chicago?

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